von Marc Hoinkis (14.10.2020)
Wie lässt sich eine bewusstseinsverändernde Erfahrung musikalisch umsetzen? Dem Namen nach könnte ein Musikgenre aus den 60er Jahren – der Psychedelic Rock, der Bands wie Pink Floyd oder The Doors zugeschrieben wurde, eine Antwort auf diese Frage liefern. Lesen Sie weiter, wie Marc Hoinkis anhand von vier Musikbeispielen aufzeigt, wie vielfältig der Musikstil ist und welche Bedeutung Drogen darin haben.
Das Zauberwort, welches in der Mitte des letzten Jahrhunderts eine ganze Generation prägte und einen neuen Musikstil hervorbrachte, heißt: Freedom. Anfang der 1960er Jahre entwickelte sich eine bis dahin ungekannte musikalische Freiheit, die sich in ungewöhnlichen Klängen artikulierte und schnell Einzug in die Populärkultur hielt. Kurz nachdem die ersten Bands in den USA aufgetaucht waren, schwappte der Zeitgeist auch über den großen Teich nach Europa, vor allem nach Großbritannien. ‚Psychedelic Rock‘ wurde schnell zum Sound der 60er Jahre. Wie kam es dazu?
Die in der Bay Area in San Francisco übrig gebliebenen Anhänger der Beat-Generation, eine Gruppe von Autoren, übten einen großen Einfluss auf ihr Umfeld aus. Vor allem der Hang zu nahöstlicher Kultur und halluzinogenen Substanzen trug maßgeblich zur Entwicklung einer neuen Bewegung bei: den Hippies. ‚Peace and Love‘, ihr Lebensmotto und Protestschrei gegen den Vietnamkrieg, entstand im Kontext der Bewusstseinserweiterung, die sie durch die Einnahme der Drogen erlangten und fortan musikalisch aufgreifen sollten. Der daraus resultierende Stil war Rockmusik, die die verschiedensten Einflüsse aus Volksmusik, Blues, Beat und Rock ‘n’ Roll zu einer neuen populären Musik verband. Aber wie kommen ‚Rock‘ und ‚Psyche‘ eigentlich zusammen?
Der Begriff ‚psychedelic‘ wurde erstmals 1957 von dem britischen Psychiater Humphrey Osmond verwendet. Mit der Zusammensetzung der griechischen Wörter Psyche (ψυχή = Seele) und Delos (Δήλος = sichtbar) beschrieb er einen Rauschzustand der halluzinatorischen Bewusstseinserweiterung, mit dem der Verlust des Zeitgefühls, der Eindruck der Schwerelosigkeit und die Auflösung gegenständlicher Erfahrungen einhergehen.
Auf die Musik übertragen, bedeutet das für den Musikwissenschaftler Herbert Hopfgartner (2003): „Psychedelische Rockmusik als Musik-Begriff einer alternativen Jugendkultur in den sechziger Jahren verweist auf Versuche, Drogenerfahrungen musikalisch umzusetzen und sich textlich wie musikalisch von trivialer Unterhaltungsmusik zu distanzieren.“
Bands wie Publikum sahen also in dieser Musik eine neue Kunstform, die sich explizit von der Musik zur reinen Unterhaltung abhob: Der bis dato übliche Drei-Minuten-Song entwickelte sich zur langen Improvisation; meditative Klangreisen und akustische Experimente waren das neue Ziel. Die jungen Bands suchten nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die sich sowohl in ihren Texten als auch visuell in ihren Videos und CD-Booklets äußern sollten.
Instrumente aus der indischen Volksmusik wie Sitar oder Tabla und historische Instrumente wie die Windharfe waren zum ersten Mal in einem neuen (Rock-)Kontext hörbar: zusammen mit der knapp ein Jahrzehnt alten E-Gitarre, elektronischen Effektgeräten und den neuartigen Synthesizern. Kaleidoskopartig taten sich scheinbar unendliche Möglichkeiten auf, den eigenen Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Diesen Facettenreichtum verdeutlicht ein Vergleich vier ausgewählter Stücke.
Der Song „White Rabbit“ der Band Jefferson Airplane gilt als einer der bekanntesten Songs des Genres. Tatsächlich soll für das Album Surrealistic Pillow, auf dem das Lied 1967 erschien, zum ersten Mal der Begriff ‚psychedelic‘ verwendet worden sein. Inhaltlich erzählt der Song die Geschichte von Alice im Wunderland und lässt im Subtext Bezüge zu Erfahrungen mit Halluzinogenen erkennen. Ein hypnotisches Gitarrenriff, das fernöstlichen Harmonien anmutet, leitet in den durchdringenden Gesang.
Zeilen wie „[...] you just had some kind of mushroom and your mind is moving low“ oder „when logic and proportion have fallen sloppy dead“ knüpfen offensichtlich an Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen an. Der Song baut sich vorsichtig auf und steigert sich unablässig, bis er am Höhepunkt schlagartig verklingt. Haben wir hier den Anfang eines Trips gehört?
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YouTube-Inhalte anzeigenAls Paradebeispiel musikalischer Experimente gilt das Instrumentalstück „Interstellar Overdrive“ der Band Pink Floyd. Das zum Anfang und Ende erklingende Thema bildet einen Rahmen, in dem sich die Band allmählich von einem harmonisch intakten Improvisationsteil in ein völliges Klangchaos begibt. Hier lassen sich weder ein harmonisches Gefüge oder ein klarer Rhythmus noch ein einheitliches Tempo feststellen.
Ein wichtiges Element ist der Synthesizer. Dessen eigentümliche Klänge führten damals auch zur Bezeichnung dieser Musik als ‚Space Rock‘. Auch die Klänge der anderen Instrumente sind durch zahlreiche elektronische Effekte verfremdet, die teilweise nur im Studio erstellt werden können. Gegen Ende wird z.B. der Track mit einem Stereo-Effekt von links nach rechts geschickt, womit eine veränderte Wahrnehmung des Raumes hervorgerufen wird.
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YouTube-Inhalte anzeigenMystisch wird es bei „The End“ der Band The Doors. Der Abschluss ihres Debütalbums ist wie ein indischer Raga aufgebaut, bei dem die Melodien stetig um einen zentralen Ton kreisen. Das weitschweifende Klangbild, das sich auf einer Länge von über elf Minuten zwischen ruhig und meditativ bis hin zu explosionsartigen Eskapaden pulsierend entwickelt, scheint den kryptischen Text zu kommentieren.
Der rhythmische Fluss, in dem sich das Stück befindet und der aus sich wiederholenden Mustern aufgebaut ist, erinnert an rauschhafte Zustände, aber auch der Songtext ist von Bildern und Szenarien durchzogen, die Halluzinationen und schamanischen Vorstellungen gleichen. Das starke Interesse am Schamanismus begründet The Doors-Sänger Jim Morrison mit einem einschneidenden Erlebnis aus seiner frühen Kindheit. Er legt damit ganz im wörtlichen Sinne von ‚psychedelic‘ seine Seele im Rausch der Musik offen.
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YouTube-Inhalte anzeigenBeinahe alle genannten Merkmale finden sich in dem Stück „Strawberry Fields“ der Beatles wieder, das u. a. auf dem Album Magical Mystery Tour erschienen ist. Das zu Beginn des Liedes erklingende, damals noch recht junge Instrument Mellotron erzeugt mit Tonbändern verfremdete Klänge. Die Aussage aus dem Refrain „nothing is real“ wird auf allen Ebenen thematisiert: Der Text beschreibt einen verwirrten Gedankengang, der sich auf eine in sich gekehrte Gedankenwelt bezieht.
Die Musik scheint diesem Gedankengang zu folgen, indem sie Passagen wie „let me take you down“ lautmalerisch umsetzt, lose daher plätschert oder sogar rückwärts abläuft. Das Ende des Songs zerfällt in ein Zusammentreffen verschiedener musikalischer Ideen. Übrigens: Dieser Song war einer der ersten, dessen Musikvideo kein Performance-Video, sondern ein surrealer Kurzfilm (in Farbe!) war.
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YouTube-Inhalte anzeigenDiese vier Songs zeigen auf je eigene Art und Weise, in welchen Formen Psychedelic Rock erscheinen kann. Im Zentrum des Ganzen stehen halluzinogene Substanzen, die zu ausschweifenden Improvisationen und ungewöhnlichen Klängen leiten, die sowohl live als auch im Studio erzeugt werden. Die Verbindung zu orientalischen und asiatischen Klängen können als Trend dieser Zeit gelten. Was die Songs zudem verbindet, ist der experimentelle Charakter, der in den 1960er Jahren in der Popmusikkultur für helles Aufsehen sorgte.
Dies allein reicht zur Eingrenzung des Stils noch nicht aus, denn die genannten Eigenschaften gelten zum Teil auch für andere Musikrichtungen, sowohl vor als auch nach den 1960er Jahren. Allerdings ist der Begriff Psychedelic Rock – wie bei jedem Genre – Abbild seiner Zeit. Er übersteigt die reine Musik und steht für das Lebensgefühl der Hippies. Zudem stand das Klangbild in starkem Kontrast zur zuvor vorherrschenden Popularmusik und war von einer ganz eigenen Ästhetik geprägt. Bands unserer Zeit, die sich die einstigen Künstler des Psychedelic Rock zum Vorbild genommen haben, wie etwa King Gizzard & the Lizard Wizard oder Khruangbin, scheinen davon eine klare Vorstellung zu haben: Sphärische Harmonien, frei improvisierte Passagen und im besten Falle Equipment, das nach dem Staub der 60er Jahre klingt.
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