Kreativer üben und schneller Fortschritte machen dank ‚Sinne-Übehacks‘

Wie du deinen Hör-, Seh- & Spürsinn aktiv in dein Üben integrierst

von Melina Paetzold (03.09.2021)

Immer wieder die gleiche Stelle spielen? Wiederholen, wiederholen, wiederholen, bis sie endlich funktioniert? Ich glaube, Üben kann und darf anders gehen. Denn wie schon Albert Einstein sagte: „Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

In diesem Beitrag stelle ich dir die ‚Sinne-Übehacks‘ vor, die dich dabei unterstützen, deinen Forschergeist beim Musizieren zu aktivieren und so kreativer und erfolgreicher zu üben. Ganz nach dem Motto: ‚Dein Musikinstrument ist nicht dein einziges Instrument beim Üben!‘


© Karoline Wolf

Melina Paetzold

Melina Paetzold ist als freischaffende Musikerin, Dozentin und Musikercoachin in Berlin tätig. ...

Was sind Übehacks?

Das Wort ‚Hack‘ kommt ursprünglich aus dem Kontext der Computertechnik, wurde aber in den letzten Jahren auf alle möglichen Bereiche wie das alltägliche Leben (‚lifehack‘) oder die Arbeit (‚workhack‘) übertragen. Ein Hack möchte für ein spezifisches Problem eine kreative, ungewöhnliche Lösung bieten, die direkt ausprobiert sowie schnell und einfach in die bestehenden Abläufe integriert werden kann.

Ganz wichtig ist dabei, dass man beim Ausprobieren den Hack nicht nur kognitiv begreift, sondern praktisch umsetzt und die Veränderung wahrnimmt. Deshalb empfehle ich dir, es nicht beim Lesen dieses Beitrags zu belassen, sondern die Übehacks gleich an deinem Instrument auszuprobieren.

Die Sinne-Hacks

In dem Ratgeber Die Kunst des Musizierens gehen Renate Klöppel und Eckart Altenmüller darauf ein, wie wir unsere Sinne beim Musizieren einbeziehen:

„Der wichtigste Sinn beim Instrumentalspiel ist zweifellos das Gehör. Aber das Ohr allein kann die Musizierbewegungen nicht lenken, sondern erst das Üben schafft die Verbindung zwischen Klangvorstellung und richtiger Bewegung. [...], das Auge kontrolliert vor allem zu Beginn des Bewegungslernens häufig die Bewegungen direkt, und auch bei Bewegungen ohne optische Kontrolle spielt die visuelle Vorstellung der Bewegung eine wesentliche Rolle.“

Beim Spielen eines Musikinstrumentes werden also drei Sinne – das Hören, das Spüren und das Sehen – aktiv. Zum Teil passiert das automatisch. Oft ist es jedoch so, dass wir nicht alle Sinne in unser Feedback beim Musizieren gleichberechtigt einbeziehen.

Mit den Sinne-Hacks wirst du herausfinden, wie dich welcher Sinn am besten unterstützen kann, welchen Sinn du eventuell noch vernachlässigst oder wo der Einsatz eines Sinns optimiert werden darf. Außerdem merkst du, wo du deine Sinne schon super einsetzt!

Lass uns, bevor wir jeden Sinn einzeln betrachten, ein konkretes Beispiel anschauen, das zeigt, welche Tücken sich einschleichen können, wenn wir unsere Sinne weniger bewusst einsetzen, und welches Potential die Sinne-Hacks bergen.

Ein Anwendungsbeispiel aus einer 1:1-Session

Eine Musikerin kam mit dem Wunsch zu mir, auf ihrer Geige Übetechniken für einen schwierigen Sechzehntellauf zu erarbeiten. Bisher hatte sie diesen in verschiedenen Artikulationen und Tempi geübt sowie verschiedene Fingerhaltungen und -positionen ausprobiert. Trotzdem verspielte sie sich regelmäßig bei dem Lauf.

Ich fragte sie, worauf sie beim Üben achtet. Sie beschrieb, dass es ihr wichtig sei, die Töne sauber zu greifen, sodass sich keine Zwischentöne einschleichen. Außerdem achte sie darauf, dass ihre Finger kleine Bewegungen machen, aber so habe ihr der Klang nicht gut gefallen.

Die Musikerin bewertete ihr Spiel also in beiden Fällen über das Klangergebnis oder – anders ausgedrückt – über den Hörsinn.

Daraufhin bat ich sie, die besagte Stelle erneut zu spielen und sich diesmal auf das Spüren zu konzentrieren. Dabei stellte sie fest, dass bei einigen Fingerpositionen mehr und bei anderen weniger Spannung in der Hand zu spüren war. Bei einer bestimmten Handhaltung fühlte sich der Lauf auf Anhieb leicht an.

Über die Arbeit mit den Sinne-Übehacks lernte die Musikerin, das Feedback ihres Körpers ausgeglichen wahrzunehmen, also das Gespielte nicht nur über den Hörsinn zu bewerten, sondern ebenso das Fühlen miteinzubeziehen. Die Bewertung der verschiedenen Fingerpositionen änderte sich, und obwohl sie mit dem Klang nicht hundertprozentig zufrieden war, gab sie der Fingerposition aufgrund der vielen anderen Vorteile eine Chance.

Das Ergebnis: Nach einer Gewöhnungsphase gelang es der Musikerin, mit der natürlicheren, lockereren Handposition einen zufriedenstellenden Klang zu finden und am Ende den schwierigen Lauf sicher zu spielen. Bisher hatte die Verkrampfung der Hand immer wieder zu Fehlern geführt.

Die Sinne-Hacks

Lass uns nun die einzelnen Sinne-Hacks (Seh-, Hör- und Spürsinn) genauer unter die Lupe nehmen, damit du selbst erste Erkenntnisse gewinnen und Veränderungen für dein Spiel erreichen kannst. Lass uns am besten gleich mit dem Hack aus dem Anwendungsbeispiel, dem Spürsinn-Hack, beginnen. Ich erkläre dir im Folgenden Schritt für Schritt, wie du ihn dir zu Nutze machen kannst. Wenn du magst, lege dir dein Instrument bereit und setze die folgenden Übungen gleich um!

1) Der Spürsinn-Hack

Die vermutlich größte Herausforderung für die meisten Musiker ist es, das Spüren in das Musizieren zu integrieren. Gleichzeitig liegt so viel verstecktes Potential darin, unser Körperfeedback bewusst in das Üben einzubauen.

So funktioniert der Spürsinn-Hack:

  • Fange an zu spielen und spüre dabei in deinen Körper hinein. Wenn du magst, kannst du ihn innerlich von der Kopfkrone bis zu deinen Fußspitzen einmal abscannen.
  • Was nimmst du wahr? Gibt es Bereiche, die fest oder verspannt sind?
  • Suche dir nun eine Stelle im Körper aus, die sich nicht frei und durchlässig anfühlt und probiere diese zu lösen. Dafür hast du zum Beispiel folgende Möglichkeiten:
    a) Nutze das Prinzip der Progressiven Muskelentspannung. Kurz zusammengefasst: Spanne die Stelle oder einen Muskel in der Nähe extrem an und lasse sofort wieder los.
    b) Schüttle deinen Körper, insbesondere die verspannte oder undurchlässige Region, einmal durch.
  • Spüre beim erneuten Losspielen, wie sich dein Körpergefühl und damit auch dein Klang oder deine Technik verändert hat.
  • Wiederhole diese Übungen so oft wie nötig, bis du dein gewünschtes Ergebnis erreicht hast.

Je nachdem, wie sehr du es gewohnt bist, dein Körperfeedback für dich zu nutzen, können die vielen neuen Informationen beim Spürsinn-Hack überwältigend sein. Lass dich davon nicht entmutigen! Oft findet sich die Lösung für eine technische Hürde genau über das bewusste Erspüren und Auffinden von Anspannungen und Blockaden im Körper. Bleib also unbedingt dran!

2) Sehsinn-16tel-Hack

Dem Sehsinn fallen beim Musizieren gleich mehrere Aufgaben zu. Zum einen brauchen wir ihn, um die nötigen Bewegungsabläufe zu lernen. Zum anderen erfassen wir mit unseren Augen den Notentext. Beim Sehsinn-16tel-Hack geht es darum, deinen Sehsinn bewusst dafür zu nutzen, schwere technische Stellen sicherer und schneller zu meistern oder dich besser konzentrieren zu können.

So funktioniert der Sehsinn-16tel-Hack:

  • Spiele eine herausfordernde (8tel-, 16tel-, 32tel-)Passage und nimm dabei dein Blickfeld wahr.
  • Wohin in den Noten schaust du beim Spielen? Wie setzt du deinen Blick ein? Fällt dir sonst etwas auf?
  • Probiere in verschiedenen Tempi folgende Varianten, deinen Sehsinn einzusetzen, aus:
    a) Schaue bewusst immer genau auf die Note, die du gerade spielst.
    b) Lass deinen Blick etwas zurückhängen, also schaue auf die jeweils vorangegangene Note.
    c) Richte deinen Blick nach vorn. Schaue die folgende Note an.
    d) Erfasse mit deinem Blick Notengruppen, also zwei, drei oder vier Noten auf einmal.
  • Halte deine Erkenntnisse gedanklich und schriftlich fest: Wie hat sich jede Variante angefühlt? Was fiel mit ihr besonders leicht? Was fiel besonders schwer? Was ist günstig, was vielleicht hinderlich?

Beim Ausprobieren hast du vielleicht festgestellt, dass...
… Variante a) hilft, konzentriert zu bleiben, die Geschwindigkeit jedoch eher begrenzt ist.
… Variante b) in jedem Fall nicht günstig ist.
… Variante c) sich gut eignet, um sich an das Vorausschauen zu gewöhnen, und dass die Stelle etwas sicherer und schneller gelingt.
… Variante d) vielleicht erstmal das Gefühl eines Kontrollverlustes hervorruft, aber am Ende noch mehr Tempo möglich macht.

Gerade Variante d) braucht meist etwas Zeit, damit sie wirklich gut funktioniert. Deshalb gib nicht gleich auf, wenn sie am Anfang noch eine Herausforderung ist. Mit ein bisschen Training kannst du sie bald für dich nutzen.

3) Hörsinn-Hack

Ganz klar, der Hörsinn spielt beim Musizieren und Üben eine ganz entscheidende Rolle. Beim aktiven Zuhören können wir viele Informationen über unser Spiel sammeln. Trotzdem passiert es, gerade wenn wir aus Noten spielen, dass wir den Hörsinn vernachlässigen. Es lohnt sich, das aktive Zuhören zu trainieren.

Was wird möglich, wenn du dich auf den Hörsinn konzentrierst? Über das Zuhören fällt es dir meist leichter, in die Musik einzutauchen oder die zum Üben benötigte Konzentration zu finden. Außerdem nimmst du deine Musik so meist auf eine intensivere Weise wahr – möglicherweise mit Gänsehaut.

Ein schöner Nebeneffekt des aktiven Hörens ist, dass dein innerer Kritiker meist schwächer wird und du das Musizieren mehr genießen kannst, auch wenn sie noch nicht perfekt ist.

So funktioniert der Hörsinn-Hack:

  • Richte deine Aufmerksamkeit beim Üben auf deinen Klang.
  • Was verändert sich, wenn du mit dem Fokus auf den Hörsinn übst?
  • Welche Informationen, Erkenntnisse, Erfahrungen über dein Spiel bekommst du, wenn du dich hauptsächlich auf das Hören fokussierst?
  • Notiere dir deine Eindrücke.

Teilweise kann es sehr herausfordernd sein, sich hauptsächlich auf das Hören zu konzentrieren, denn wir sind schnell verleitet, mit den Gedanken abzuschweifen. Solltest du das beim Ausprobieren des Hörsinn-Hacks beobachten, sei nicht zu hart mit dir! Führe deine Aufmerksamkeit einfach wieder zurück auf das Hören.


Die drei Hacks im Zusammenspiel

Mit den Sinne-Hacks lernst du die Potentiale des Sehens, Hörens und Spürens bewusst zu nutzen und so kreativer und effektiver zu üben. Wie schon eingangs gesagt: ‚Dein Musikinstrument ist nicht dein einziges Instrument beim Üben‘ – ganz nach diesem Motto nutze alle drei Sinne, um Feedback zu deinem Musizieren zu sammeln.

Es wird viel seltener vorkommen, dass du die falschen Schlussfolgerungen ziehst, wenn mal etwas nicht klappt, oder dass dir die Ideen ausgehen, wie du eine Herausforderung auf deinem Instrument lösen kannst.

Und nun bist du dran! Werde aktiv, wende die Übehacks an und spüre, was sie verändern!

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