Singen fürs Klima

Ein Interview mit dem Kinderliedermacher Reinhard Horn zu seinem aktuellen Klimaprojekt Earth Choir Kids

von Florian Boberski (09.09.2022)

Der Kinderliedermacher Reinhard Horn engagiert sich seit Langem für die Themen Kinderrechte, Klimawandel, Naturschutz und soziale Gerechtigkeit und greift diese musikalisch in seinen Kinderliedern zum Mitmachen auf. Stretta Music hat ihn zu seinem neuesten Projekt 'Earth Choir Kids – Unsere Stimmen für das Klima' interviewt, das von großen Umweltorganisationen unterstützt wird. Innerhalb eines Jahres sollen so in zahlreichen Konzerten und mit weiteren Aktionen über eine Million Menschen erreicht und für den Klimawandel sensibilisiert werden.

Earth Choir Kids

Florian Boberski: Lieber Reinhard Horn, wie wird man zum Kinderliedermacher?

Reinhard Horn: Ich stehe schon 50 Jahre auf der Bühne – im ersten Teil meiner musikalischen Karriere mit der christlichen Popband KONTAKTE. Als meine Kinder anfingen die Welt zu entdecken, haben wir bemerkt, dass gemeinsam Musik machen sehr viel Spaß macht. So kam ich dazu, Kinderlieder zu schreiben, in denen Kinder mitmachen und sich zur Musik bewegen, singen oder tanzen können. Ich finde, das ist sehr wichtig für ihre Entwicklung.

FB: Wie war denn Ihre eigene Kindheit musikalisch geprägt?

RH: Ich bin meinen Eltern im Nachhinein sehr dankbar, dass sie das Potenzial von Musik für die kindliche Entwicklung erkannt haben und mir und meinen zwei Geschwistern Klavierunterricht und ein Instrument zum Üben bezahlt haben – in den Sechzigern war das mit nur einem Verdiener natürlich nicht leicht. Aber meine Familie war selbst sehr musikalisch – mein Vater war z. B. ein begnadeter Chorsänger und mein Onkel Sänger an der Dresdner Oper.

FB: Wann haben Sie begonnen zu komponieren?

RH: Die ersten bewussten Erinnerungen ans Komponieren fangen so mit 12-13 Jahren an. Damals habe ich eigene Melodien geschrieben und anschließend geschaut, ob ich ein schönes Gedicht finde, das ich als Text hernehmen kann.

FB: Dann fingen Sie an, in einer christlichen Popband zu spielen. Die Band hieß KONTAKTE, wie dann später auch Ihr Musikverlag.

RH: Genau, das war eine tolle Zeit in den 80ern, in der wir z. B. zweimal das Olympiastadion mit 100.000 Zuhörern bespielt haben. Das waren richtige Gänsehautmomente! Dann gründeten wir den KONTAKTE Musikverlag. Christliche Popmusik wollten die Majors damals nicht verlegen und so haben wir selbst im Heizungskeller gestartet. Mittlerweile haben wir ein eigenes großes Verlagsgebäude mit 400m2 und einem schönen Studio gebaut, in dem ich mich austoben darf.

Schnelle Fragen

Erste Noten, die Sie geschenkt bekommen haben?
Mit drei oder vier Jahren habe ich ein Notenbüchlein für Xylophon bekommen, wo man anhand von farbigen Noten erste Melodien spielen konnte.

Erstes Notenheft, dass Sie sich selbst gekauft haben?
Ein Beatles-Songbook, das ich mir mit 14 Jahren gekauft habe.


Entdecke auf dem Youtube Kanal vom KONTAKTE Musikverlag Hintergründe zum Projekt Earth Choir Kids und noch vieles mehr:


Reinhard Horn mit Kindern bei einem seiner Mitmach-Konzerte

FB: Ihr Sohn ist ja auch unter die Kinderliedermacher gegangen!

RH: Ja, ehrlich gesagt glaube ich, dass unsere Kinder gar keine Chance hatten, sich der Musik zu entziehen. Meine Tochter ist Musiklehrerin und Simon hat eigentlich auch Grundschullehramt für Musik und Mathe studiert. Er wollte dann aber nicht direkt in die Schule und ist jetzt seit zehn Jahren sehr erfolgreich als herrH unterwegs.

FB: Sie haben über 2000 Lieder geschrieben, gibt es da welche, auf die Sie besonders stolz sind und die vielleicht nicht so bekannt sind?

RH: Alle meine Lieder sind mir sehr wichtig, aber es gibt zwei Projekte, die mir besonders am Herzen liegen. Einmal unser Kinderrecht-Projekt Echte Kinderrechte, wo wir zusammen mit Kinderdorf-Kindern über zwei Jahre lang Lieder zu den verschiedenen Kinderrechten geschrieben haben. Das Projekt ist zwar schon 15 Jahre auf dem Markt, aber wird immer noch sehr gerne in Schulen eingesetzt. Das zweite sind unsere Projekte zum Thema Klima, Nachhaltigkeit und Umwelt.

FB: Genau das ist auch das nächste Stichwort. Sie waren bereits 2007 mit dem Klima-Musical Eisbär, Dr. Ping und die Freunde der Erde erfolgreich. Seit wann ist Ihnen der Klimaschutz ein Anliegen?

RH: Meine erste Begegnung mit diesem Thema war 1974/75 im Studium. Schon damals haben Wissenschaftler geschrieben, dass es schlimm um unsere Erde steht und sich etwas ändern muss. Aus einem Austausch mit dem BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) heraus entstand dann die Idee für das Klimamusical. Warum ich das Thema mit unserem aktuellen Projekt Earth Choir Kids jetzt nochmal angehe, ist ganz einfach erklärt. Seit meine vier Enkelkinder auf der Welt sind, ist mir viel bewusster geworden, dass es wichtig ist auch für nachfolgende Generationen eine lebenswerte Erde zu hinterlassen. Ich möchte deswegen mit meinen Mitteln – der Musik – einen Beitrag leisten und versuchen, die Menschen zu erreichen. Das ist meine Motivation dahinter.

FB: Wir erleben aktuell die ersten Auswirkungen des Klimawandels und die Diskussion um die notwendige Energiewende hautnah: letztes Jahr die Flutkatastrophe im Ahrtal, dieses Jahr eine extreme Dürre und Waldbrände in ganz Europa, dazu die Energiekrise um Öl und Gas. Denken Sie, dass die aktuelle Lage nun vielen endlich bewusst gemacht hat: Wir müssen jetzt handeln, sonst ist es zu spät?

RH: Das Problem ist, dass uns in Deutschland die Auswirkungen des Klimawandels noch nicht so offensichtlich bedrohen wie die Menschen in anderen Länder. Der ehemalige Leiter des Potsdamer Klimainstituts Prof. Hans Joachim Schellnhuber hat einmal ein tolles Bild benutzt und die Menschen mit einem Mann verglichen, der aus einem zehnstöckigen Hochhaus springt. Auf Höhe des zweiten Stocks ruft er in ein Fenster: ‚Ich weiß gar nicht, warum die sich so aufregen, es ist doch bis jetzt nichts passiert.” Wir laufen sehenden Auges in eine sehr, sehr schwierige – ich will das Wort Katastrophe nicht verwenden – Situation hinein. Deshalb möchte ich so viele Menschen wie möglich wachrütteln!

FB: Ein Lied von Earth Choir Kids heißt „Alles hängt mit allem zusammen”. Der Klimawandel ist ein globales Problem und daher sind bei Ihrem Projekt Künstler aus aller Welt dabei, von Westgrönland über Südamerika bis zum Senegal. Haben die Menschen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden ein ähnliches Bedürfnis, für die Umwelt und gegen den menschengemachten Klimawandel zu musizieren?

RH: Als ich darüber nachgedacht habe, was ich in den Liedern erzählen will, war mir ganz wichtig, dass wir nicht nur die Brille Europas aufhaben, sondern auch mit Musikern anderer Länder in den Austausch kommen. Nehmen wir drei Beispiele:

  • Rocky Dawuni aus Ghana, ein Reggae-Musiker, ist UN-Botschafter in Afrika für das Projekt Great Green Wall. Um die Ausbreitung der Sahara-Wüste nach Süden zu verhindern, werden dort auf einer Strecke von 8000 km Bäume gepflanzt.

  • Vom Inuit-Shamanen Angaangaq aus Grönland habe ich ganz viel über ‚The Big Ice’, den Grönländischen Eisschild, gelernt. Es ist ja kein Geheimnis, dass dieser dramatisch schnell abnimmt.

  • Ich habe mit Musikerinnen und Musikern von der kleinen Südseeinsel Tuvalu gearbeitet, die erzählten: “Wir lieben unser Leben auf Tuvalu, aber der höchste Punkt der Insel ist nur 1,30 Meter hoch. Glücklicherweise halten die intakten Korallenriffe rund um die Insel das Ansteigen des Meeresspiegels ein bisschen zurück, aber wir haben auch ein großes Problem mit der Versalzung des Grundwassers. Jetzt müssen wir Hochbeete anlegen und mit normalem Trinkwasser wässern.”

Da sieht man, wie unterschiedlich das Thema Klimawandel bei den Menschen in den verschiedenen Regionen ankommt. In Tuvalu sind die Auswirkungen schon lebensbedrohlich, wohingegen wir auf Festland-Europa noch am Überlegen sind, wie und wann man den Klimawandel bekämpfen sollte.

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FB: Vor ein paar Jahren gab es im WDR einen kleinen Skandal, als ein Kinderchor satirisch „Meine Oma ist ne alte Umweltsau” sang und viele ältere Menschen sich angegriffen fühlten. Haben Sie die Diskussion damals verfolgt und wie stehen Sie dazu?

RH: Natürlich hat der Kinderchor aber das Lied nicht selbst umgetextet. An diesem Punkt bin ich selbst immer ganz vorsichtig. Man muss aufpassen, dass man Kinder nicht vor irgendeinen ideologischen Karren spannt. Ich würde auch nie ein Lied machen und jemanden als ‚Umweltsau’ bezeichnen – das ist für mich eine direkte Konfrontation und da stehe ich nicht dahinter. Immerhin leben wir zusammen auf diesem Planeten und wir sollten eine Möglichkeit finden, uns in die Augen schauen und gemeinsame Wege gehen zu können.

FB: Ihre Lieder sind nicht anklagend, sondern betonen das Verbindende. Sie mahnen schon, aber sind auch motivierend und laden dazu ein, sich der Schönheit der Natur, bzw. wie sie sagen, der Schöpfung bewusst zu werden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ist das für Sie der bessere Weg, die Menschen auf ein Problem aufmerksam zu machen?

RH: Ich glaube, Konfrontation hilft nicht. Es ist ganz wichtig, dass der Gedanke der Solidarität wieder stärker wird. Dazu braucht es meiner Ansicht nach ein ganz anderes Bildungssystem, wo das Erleben von Solidarität und Selbstwirksamkeit sowie das Entdecken und die Entwicklung von eigenen Stärken gefördert werden. Alle, die diese Erfahrungen gemacht haben, würden von sich aus nie in eine Konfrontation gehen, sondern versuchen, die Dinge zu verändern und Lösungen zu finden. Alle großen Persönlichkeiten, von Jesus über Mahatma Gandhi bis hin zu Olof Palme, haben nie versucht dem anderen zu sagen: “Du bist verkehrt”, sondern haben gesagt: “Ich lebe mein Leben anders und vielleicht hilft dir mein Vorbild, Dinge von mir zu übernehmen und zu reflektieren.” Mein Wunsch wäre es, so die Eigenverantwortlichkeit zu stärken.

FB: Denken Sie, dass das beim Thema Klimawandel reicht? Ein einzelner Mensch kann ja gar nicht erfassen, was alles passiert.

RH: Ja, aber die Alternative wäre, dass wir einen Berg an Regularien aufbauen, der uns in der Entwicklung unserer Potenziale hindert. Der entscheidende Punkt aus meiner Sicht ist, dass wir in Schule und Bildung nicht mehr die Anhäufung von Wissen in den Vordergrund stellen sollten, sondern die Ermöglichung von Entwicklungspotentialen der Kinder.

Es gibt hierfür ein gutes Beispiel: In der Fahrschule bereitet der Fahrlehrer den Schüler auf die Fahrprüfung vor. Anders als in der Schule prüft hier aber nicht der Lehrer das Erlernte ab, sondern ein externer und unabhängiger Prüfer. Der Lehrer begleitet also nur die Entwicklung und den Lernprozess des Schülers, fördert und fordert ihn – das ist meine Idee von Schule.

FB: Das heißt, Ihre Idee wäre, auch bezogen auf den Klimawandel, dass die Menschen besser gebildet wären, um von sich aus bessere Entscheidungen zu treffen, die besser für alle sind.

RH: Genau.

FB: In ihren Liedern wird durchaus gezeigt, wo etwas nicht so gut läuft und wie man es vielleicht besser machen könnte. Halten Sie Musik generell für einen guten Weg, diesen Prozess zu unterstützen und Menschen zusammenzuführen?

RH: Singen ist laut Yehudi Menuhin ja die eigentliche Muttersprache des Menschen. Von daher ist es uns in die Wiege gelegt, uns mit Musik ausdrücken zu können.

Wenn ich als Botschafter des Vereins Singende Krankenhäuser e. V. einen Singnachmittag veranstalte, bin ich fasziniert davon, dass an Alzheimer oder Demenz erkrankte Menschen noch ganze Strophen von Liedern aus ihrer Kindheit auswendig singen können. Die Neurologen haben mir erklärt, dass bei diesen Erkrankungen das Gehirn “zerbröselt”. Der letzte Teil des Gehirns, der funktionsfähig bleibt, sei das musikalische Gedächtnis. Ich verstehe daher Musik als den tiefsten Zugang zu unserer Seele und wenn Kinder gemeinsames Musizieren erleben, dann glaube ich, kann die Musik durchaus Menschen zusammenführen.

FB: Was ist das Ziel von Earth Choir Kids? Was wäre Ihr Wunsch, was aus diesem Projekt entsteht? Die meisten Lieder sind auf Deutsch, wird es auch international?

RH: Wir haben alle Kinder- und Jugendchöre Deutschlands mit den Chorbüchern, Noten und CDs ausgestattet. Die Idee ist, dass ab diesem Herbst die Chöre diese Lieder in ihren eigenen Konzerten präsentieren. Wenn wir annehmen, dass alle 3500 Kinder- und Jugendchöre ein Konzert mit den Klimaliedern machen und dann kommen zu jedem 300 Leute, hat man über eine Million Menschen erreicht. Das wäre toll! Außerdem bin ich gerade im Gespräch mit Sonja Greiner, der Vorsitzenden der European Choral Association, dass wir Earth Choir Kids auf Englisch übersetzen, um es auch in anderen Ländern zugänglich zu machen. Wir freuen uns schon sehr darauf.


Neuerscheinung 2022

FB: Das klingt auf jeden Fall alles sehr spannend!

RH: Ja, ich bin froh, dass wir so viele tolle Partner wie Brot für die Welt und Greenpeace haben, die uns tatkräftig unterstützen.

FB: Herr Horn, ich bedanke mich herzlich für das spannende Interview und Ihre Zeit und wünsche Earth Choir Kids viel Erfolg!

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