Sergei Rachmaninow zum 150. Jubiläum

von Eleonora Paolin (01.04.2023)

„Musik ist genug für ein Leben, aber ein Leben ist nicht genug für Musik.“

So empfand Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, der vor 150 Jahren in Russland geboren wurde. Eleonora Paolin erinnert an den „letzten Romantiker“, indem sie sich mit einigen bemerkenswerten Aspekten seines Lebens und Schaffens befasst.

Sergei Rachmaninow widmete sein Leben der Musik, als Komponist, Dirigent und vor allem als Pianist. Er wurde nicht nur in eine musikbegeisterte Familie hineingeboren – sein Urgroßvater war ein Schüler von John Field (dem Erfinder der Nocturne), und sein Vater spielte Klavier –, sondern schon in seinen ersten Studienjahren zeigte sich sein außergewöhnliches Talent als Interpret und Komponist. Tatsächlich absolvierte er sein Klavierstudium am Moskauer Konservatorium ein Jahr früher; in derselben Klavierklasse war auch Alexander Skrjabin. Für sein anschließendes Kompositionsdiplom (die einaktige Oper „Aleko“) erhielt er die Große Goldmedaille des Moskauer Konservatoriums – die damals zum zweiten Mal überhaupt vergeben wurde!

Der Komponist Rachmaninow

„Ich komponiere Musik, weil ich meinen Gefühlen Ausdruck verleihen muss, so wie ich spreche, weil ich meinen Gedanken Ausdruck verleihen muss.“

Während er unbestritten als großer Pianist und Dirigent galt, schieden sich bei seinen Kompositionen die Geister, worunter seine empfindsame Seele litt. Ein frühes einschneidendes Erlebnis ist dabei das Scheitern der Ersten Sinfonie op. 13. Die Uraufführung 1897 in St. Petersburg war ein Fiasko: Das Orchester schien nicht gut genug vorbereitet, Alexander Glasunow dirigierte teilnahmslos und mutmaßlich betrunken. Die Kritik war vernichtend – unter anderem befeuert durch die Rivalität zwischen den St. Petersburger und Moskauer Musikerkreisen. Rachmaninoff verließ das Konzert frühzeitig. Wenig später stürzte er in schwere Depressionen und er verlor für mehrere Jahre seine Schaffenskraft und begann stattdessen zu dirigieren. Seine Familie riet ihm zu einer Therapie. Es dauerte zehn Jahre, bis er sich wieder der Gattung Sinfonie widmete.

Nachdem er dank Dr. Nikolaj Dahl – einem russischen Arzt und Psychologen und erfahrenen Hypnotiseur – sein Selbstvertrauen zurückgewonnen hatte, nahm er das Schreiben wieder auf. Ihm ist das Zweite Klavierkonzert op. 18 gewidmet, das seit seiner Uraufführung 1901 große Erfolge feiert – bis heute. Fünf Jahre später nahm er sich nun wieder der Gattung Sinfonie an, aber sie durchlief etliche Überarbeitungsprozesse. Er schrieb: „Ich war in einen seltsamen Gemütszustand geraten – etwas, das mir oft passiert, wenn ich komponiere; ein Gefühl der Angst, der Apathie und des Ekels vor dem, was ich in meiner Arbeit tat, und das bedeutet natürlich Ekel vor allem anderen.“ 1908 konnte seine Zweite Sinfonie op. 27 endlich uraufgeführt werden: Auch sie wurde nun mit Begeisterung aufgenommen und entflammte seine Zuversicht als Orchesterkomponist wieder.

Noch größere Lücken in seinem Komponistenlebenslauf zeigen sich aber nach seiner Flucht aus Russland im Zuge der Oktoberrevolution 1917: Innerhalb der gut 25 Jahre, die er bis zum seinem Tod im Exil vor allem in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz verbrachte, entstanden nur noch sechs Werke (op. 40 bis op. 45) – fünf davon mit Orchester. Einerseits hatte er mit seinen Konzertreisen quer durch Amerika und Europa insgesamt weniger Zeit zum Komponieren. Andererseits ist der Schöpfungsakt tief mit seiner Heimat verbunden: „Die Musik muss das Geburtsland des Komponisten, seine Lieben, seine Religiosität, die Bücher, die ihn beeinflusst haben, die Gemälde, die er liebt, die Summe seiner Erfahrungen ausdrücken.“

Neben diesen Gründen plagten ihn aber bis zuletzt Selbstzweifel über die Qualität seiner Kompositionen. So widmete sich er am Ende seines Lebens der Überarbeitung des Vierten Klavierkonzerts op. 40. Es wurde seit seiner Uraufführung 1927 vom Publikum eher verhalten aufgenommen, weil Rachmaninows Kompositionsstil sich im Verlauf immer weiter fragmentierte (und dadurch seltener ‚große Melodien‘ zum Vorschein kommen), als man z. B. von seinen beiden vorherigen Klavierkonzerten gewohnt war. Er hatte sich in Beverly Hills niedergelassen, wo er ein Haus nach dem Vorbild seiner frühen und wohlhabenden russischen Kindheit bauen ließ.

Wir verwenden YouTube, um Videoinhalte einzubetten. Dieser Google-Service verfügt über eigene Cookies und kann Daten zu Ihren Aktivitäten sammeln. Näheres dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters. Wir benötigen Ihre Zustimmung, um YouTube-Videos anzuzeigen:

YouTube-Inhalte anzeigen

Rachmaninows Zweites Klavierkonzert in Anton Rubinsteins berühmter Interpretation

Der letzte Romantiker

Obwohl er vor allem im 20. Jahrhundert beruflich erfolgreich war, tragen Rachmaninows Leistungen und sein Schaffen zu seinem Image als „letzter Romantiker“ bei, das auch dem Klischee des gequälten Komponisten-Pianisten entspricht. Rachmaninow spiegelte sich auch nicht in der ‚modernen Sprache‘ des 20. Jahrhunderts wider, die „nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Kopf zu kommen scheint“, wie er sie beschrieb.

Rachmaninow wird aber auch als der letzte Vertreter der musikalischen Romantik bezeichnet, da seine Kompositionen den Einfluss von Frédéric Chopin und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky erkennen lassen. Rachmaninow trat als Konzertpianist gerne mit Chopins Musik auf – davon bezeugen die vielen Tonaufnahmen, die er in Amerika anfertigen ließ – besonders den Trauermarsch aus Chopins Zweiter Klaviersonate op. 35. Sie erklang auch fast schicksalhaft an seinem letzten öffentlichen Auftritt eine Woche vor seinem Tod im Jahr 1943. Einen ganz konkreten kompositorischen Bezug zu Chopin haben seine „Variationen über ein Thema von Chopin“ op. 22, 22 Variationen über das 20. Prélude in c-Moll aus Chopins Préludes op. 28.

Wir verwenden YouTube, um Videoinhalte einzubetten. Dieser Google-Service verfügt über eigene Cookies und kann Daten zu Ihren Aktivitäten sammeln. Näheres dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters. Wir benötigen Ihre Zustimmung, um YouTube-Videos anzuzeigen:

YouTube-Inhalte anzeigen

Rachmaninows dramatische Interpretationen von Chopins Trauermarsch zusammen mit dem unheimlichen Finale der Zweiten Sonate

Rachmaninow war ein großer Bewunderer von Tschaikowskys Musik. Der Ältere sah den Erfolg des anderen voraus, schon als er Sergei als Junge kennengelernt hatte. Der junge Rachmaninow bearbeitete Tschaikowskys Manfred-Sinfonie op. 58 und „Dornröschen“ op. 66a für Klavier zu vier Händen. Auf Tschaikowskys Tod hin schrieb Rachmaninow das Trio élégiaque Nr. 2 op. 9 „zum Andenken an einen großen Künstler“.

Dies Irae wie eine Idée Fixe

Das Kopfmotiv des Dies Irae war neben den Glockenklängen eine wichtige Konstante in Rachmaninows Schaffen. Er verwendete die liturgische Sequenz in vielen Werken auf unterschiedliche Weise. Als Dirigent führte Rachmaninow Kompositionen auf, die diese Sequenz enthielten, so etwa 1912 in Moskau Berlioz' „Symphonie fantastique“ op. 14, der die Sequenz als thematische Material zugrunde liegt. Rachmaninow war zudem mit Liszts „Totentanz“ vertraut, eine Paraphrase auf das Dies Irae, und hatte Mussorgskys sinfonische Dichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“, die ebenfalls das überarbeitete Thema enthält, in einigen Konzerten aufgeführt.

Ob als eindringliches ‚memento mori‘ für den Komponisten oder als musikalische Inspiration, die nun säkularisiert Eingang in die Kunstmusik des 19. Jahrhunderts gefunden hatte, finden wir das Dies Irae in der Ersten Klaviersonate op. 28, in der „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ op. 43 für Klavier und Orchester, in der sinfonischen Dichtung „Die Toteninsel“ op. 29, in der Kantate „Die Glocken“ op. 35 – seine Lieblingskomposition –, in den „Sinfonischen Tänzen“ op. 45 und in allen Themen der Zweiten Sinfonie.

Wir verwenden YouTube, um Videoinhalte einzubetten. Dieser Google-Service verfügt über eigene Cookies und kann Daten zu Ihren Aktivitäten sammeln. Näheres dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters. Wir benötigen Ihre Zustimmung, um YouTube-Videos anzuzeigen:

YouTube-Inhalte anzeigen

Die Aufführung des dritten Klavierkonzerts aus dem Film „Shine“

Berühmtheit und Kritik

Im „Grove's Dictionary of Music and Musicians“ (5. Auflage, 1954) heißt es: „Als Komponist kann man kaum sagen, dass er seiner Zeit angehört hat. Seine Musik ist gut konstruiert und wirkungsvoll, aber eintönig in der Struktur, die im Wesentlichen aus künstlichen und sprudelnden Melodien besteht, die von einer Vielzahl von Figuren begleitet werden, die von Arpeggien abgeleitet sind. Der enorme Erfolg, den einige von Rachmaninoffs Werken zu seinen Lebzeiten hatten, wird wahrscheinlich nicht von Dauer sein, und die Musiker haben ihm nie viel Sympathie entgegengebracht.“

Dennoch finden wir viele positive Berichte über ihn, nicht nur über seine pianistische und dirigentische Tätigkeit, und er erlangte zu Lebzeiten echte Popularität. Er war berühmt für seine großen Hände: Wie Liszt war Rachmaninow in der Lage, ohne Schwierigkeiten ein Duodezime mit einer Hand auf dem Klavier zu spielen, manche meinen sogar: eine Tredezime. Die Virtuosität des Interpreten Rachmaninow spiegelte sich im Komponisten wider, und noch heute gelten seine Klavierkonzerte als die schwierigsten, aber zugleich schönsten Kompositionen, die für das Klavier geschrieben wurden.

Nicht nur talentierte Pianisten, sondern auch das Kino trugen zu seiner Berühmtheit bei. Das Dritte Klavierkonzert op. 30 etwa ist das zentrale Stück in „Shine“ (1996). Der Film basiert auf der Geschichte vom australischen Pianisten David Helfgott und erzählt von seinem Sieg bei einem Wettbewerb mit dem berühmten „Rach 3“ und seinem anschließenden Nervenzusammenbruch, der auch auf das zwanghafte und ständige Üben zur Vorbereitung des Konzerts zurückzuführen ist.

Rachmaninows Musik hat glücklicherweise nie das von einigen vorhergesagte und oben erwähnte unheilvolle Schicksal erlitten; im Gegenteil, sie ist trotz ihrer großen technischen Komplexität weiterhin fester Bestandteil des Studiums und der Programme von Konzertsälen und Theatern. Ich möchte mit den Worten eines anderen großen Komponisten schließen, der auch von Rachmaninow geschätzt wurde, Josef Hofmann: „Rachmaninow war aus Stahl und Gold: Stahl in seinen Armen, Gold in seinem Herzen. Ich kann nie an dieses majestätische Wesen denken, ohne dass mir Tränen in die Augen steigen, denn ich habe ihn nicht nur als überragenden Künstler bewundert, sondern auch als Menschen verehrt.“

Verband deutscher MusikschulenBundesverband der Freien MusikschulenJeunesses Musicales DeutschlandFrankfurter Tonkünstler-BundBundes­verb­and deutscher Lieb­haber-OrchesterStützpunkt­händ­ler der Wiener Urtext Edition

© 2004–2024 Stretta Music. Notenversand – Noten online bestellen und kaufen.

Ihr Spezialist für Noten aller Art. Musiknoten Online Shop, Notenblätter und Play Along per Download, Bücher, Notenpulte, Pultleuchten, Zubehör.

Für das Land Weltweit gibt es eine eigene Stretta Webseite. Falls Ihre Bestellung in dieses Land geliefert werden soll, können Sie dorthin wechseln, damit Lieferzeiten und Versandbedingungen korrekt angezeigt werden. Ihr Warenkorb und Ihr Kundenkonto bleiben beim Wechsel erhalten.

de-netzu Stretta Music Weltweit wechseln de-chauf Stretta Music Schweiz bleiben