Singen bedeutet: Liebe schenken!

Interview mit Max Ciolek

(16.082023)

Der studierte Kirchenmusiker Max Ciolek spricht von der Ambivalenz, die viele Kirchenmusiker beschäftigt – auf der einen Seite die fantastische Musik und wertvolle Gemeinschaft, auf der anderen die Institution Kirche, die viele kritisch sehen. Im Kern bleibt die Liebe zur Musik und mit ihr Menschen zu begeistern, etwas, das Max Ciolek mit seiner „Missa Brevissima“ gelang.

Max Ciolek |

Homepage: https://maxciolek.de/

Schön singen können viele – Max Ciolek erzählt seine Musik. Nach seinem Amerika-Debut unter Ton Koopman schrieb die New York Times von einem „splendid evangelist“, und auch deutsche Zeitungen loben den „rezitativischen Erzählstil von höchster Intensität, flexibel in Tempo, Emotion und Klangfarbe“.

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Woher das kommt? Nun, vielleicht von den Gesangslehrern: Alastair Thompson und Mechthild Georg waren (neben Emma Kirkby und Christoph Prégardien) wichtige Helfer auf seinem musikalischen Weg.

Oder liegt es an den Dirigenten, mit denen Max Ciolek schon arbeiten durfte, an Philippe Herreweghe oder Hermann Max, an Sigiswald Kuijken oder Peter Neumann? An den vielen Auftritten in fast allen europäischen Ländern, in China, Marokko und auf Konzertpodien wie der Kölner Philharmonie oder dem Concertgebouw Amsterdam, an den CD- und Rundfunkaufnahmen?

Er selbst hat eine ganz einfache Antwort: Nämlich, dass das Singen bei Ihm fest in seinem Leben verwurzelt ist, natürlich, nicht künstlich. Und das seine vielen anderen Interessen, die ihm zum Teil auch Beruf(ung) geworden sind, sein Musizieren bereichern und befruchten. Und dass das Wichtigste bleibt, die Freude und innere Bewegung, die er beim Singen erlebt, weiterzugeben – mit dem Ziel, die Herzen der Hörer und Hörerinnen zu öffnen!

Lieber Max, Du hast eine „Missa Brevissima“ geschrieben, die nun bei Stretta Music erhältlich ist – wie kam es dazu?

Zwölf Jahre meines Lebens habe ich mit großer Begeisterung als Kantor verschiedener katholischer Kirchengemeinden gearbeitet. Damals war das für mich einer der schönsten Berufe, die ich mir vorstellen konnte: Arbeit mit jungen und alten Menschen, Musik in schillernder Vielfalt, Orgel, Chor, Gesang – ich habe es wirklich geliebt! Leider bekam die Begeisterung mit zunehmender Zeit immer mehr Beulen, die auf der institutionellen Unbeweglichkeit gründeten …

Und als Kirchenmusiker, der ich war, komponierte ich auch gerne, um etwas Passendes für den nächsten Gottesdienst parat zu haben. Als ich dann neulich meinen Notenschrank aufräumte, fiel mir eine kleine, lateinische Messe für Kinderchor und Orgel in die Hände, die 1991 beim Diözesankinderchortag der Erzdiözese Paderborn aufgeführt wurde – und seitdem nie wieder … Das wollte ich ändern!

Also bat ich meinen Freund Thomas, mein handschriftliches Gekritzel auf dem Computer so zu setzen, dass es jede*r lesen kann – und was macht der Kerl? Zeigt es dem Geschäftsführer von Stretta Music. Und dem wiederum gefiel das kleine Messlein so gut, dass er beschloss, es zu veröffentlichen.

Was war Dein erster Kontakt mit Musik?

Die Musik ist ganz eindeutig durch meine Mutter zu mir gekommen. Meine Mutter war Erzieherin, hochmusikalisch und hat von Anfang an die Musik hochgehalten, viel gesungen und selbst Klavier gespielt. Mein musikalisches Interesse wurde schon früh bemerkt. Mit vier Jahren, als im Fernsehen Beethovens Fünfte unter Leitung von Herbert Karajan übertragen wurde, dirigierte ich eifrig mit.

Als ich sechs Jahre alt war, hatte meine elfjährige Schwester Klavierunterricht beim Kantor und spielte zweistimmige Sonatinen von Wilhelm Friedemann Bach. Mir hat die Musik so gut gefallen, dass ich mich ans Klavier setzte und so lange herumprobierte, bis es so wie bei meiner Schwester klang. Als der Klavierlehrer das nächste Mal im Flur stand, und das Klavier hörte, freute er sich: „Oh schön, Marianne übt!“, ohne zu wissen, dass ich gespielt hatte. Ab da bekam ich Unterricht!

Wie sehr hat Dich beim Heranwachsen die Musik in der Kirche geprägt?

Wir haben gegenüber einem Franziskanerkloster gewohnt und meine Eltern waren sehr katholisch. Ich war also Messdiener, Lektor, Pfadfinder, im Kirchenchor und sehr auf die Kirche fixiert und habe mich dort sicher gefühlt.

Musikalisch war es das Schönste, als Ministrant bei einer Trauung zu dienen. Der Priester begrüßt mit Messdienern das Brautpaar und mit großem Orgelgerausche zieht man gemeinsam nach vorne. Ich bin so auch zum Orgelspielen gekommen, als ein Freund, der in der Justizvollzugsanstalt sonntags Orgel spielte, für ein Musikstudium wegzog. Er fragte mich, ob ich das fortführen könnte. Das war natürlich auch finanziell toll. Damals gab es 15 Mark für eine Sonntagsmesse, also 60 Mark im Monat.

Also übte ich die Kaller-Orgelschule und kaufte mir die Noten zu Bachs Toccata in d-Moll. Damit bestand ich auch ein halbes Jahr später die Aufnahmeprüfung für Jungstudierende in Dortmund. In der 12. Klasse hatte ich keine Lust mehr auf Schule und habe sie abgebrochen, durfte aber dank „entsprechender musikalischer Begabung“ Kirchenmusik studieren.

Der Lehrer an der Hochschule wollte mich anfangs wohl testen, denn mein 1. Orgelstück im Unterricht war das sehr anspruchsvolle Präludium e-Moll aus den 12 Stücken op. 59 von Max Reger. Ich war ehrgeizig genug, um es spielen zu können.

Wie wichtig ist Kirchenmusik für den musikalischen Nachwuchs in Deutschland?

Ich denke, sie ist sehr wichtig. Neues Geistliche Musik ist meiner Meinung nach aber nicht die Rettung der Kirchenmusik… Hervorragend finde ich die Arbeit des Deutschen Chorverbands Pueri Cantoris mit ihren Kinderchören – das Bedürfnis zum Singen ist da!

Persönlich bin ich sehr glücklich darüber, dass die Präsidentin von Pueri Cantoris und nun auch Präsidentin des Allgemeinen Deutschen Cäcilienverbandes, Judith Kunz, mit sieben Jahren bei mir im Kinderchor angefangen hat zu singen. Sie war mit meinem ältesten Sohn in der Schule und ich war sehr bewegt, als er mir kurz vor dem Abi erzählte, dass Judith Kirchenmusikerin werden wollte. Sie ist zuerst eine sehr erfolgreiche Assistentin bei Eberhard Metternich am Kölner Dom geworden, danach Domkantorin in Würzburg und schließlich Domchordirektorin in Limburg. Als ich meine Karriere als Kirchenmusiker beendete, stellte ich ihr meine Noten, Bücher und Materialien zur Verfügung.

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Du hast Dich aus verschiedenen Gründen von der Institution Kirche verabschiedet. Angesichts der vielen Gemeindeabgänge der letzten Jahre: Wie siehst Du die Zukunft der Kirchenmusik?

Innerhalb der Kirche gibt es ziemlich dicke Mauern, wenn man Dinge neu machen will. Ich bin nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) groß geworden und habe z. B. hart dafür gekämpft, dass nicht nur Lieder gesungen werden, sondern auch Wechselgesänge. Derartige Vorstöße sind auf wenig Gegenliebe gestoßen. Geld war immer ein Problem, wenn man neue Wege gehen wollte. Die Trennung von meiner Frau 1992 wäre damals ein Kündigungsgrund gewesen – deswegen habe ich Kulturmanagement gelernt.

Die Zukunft für die Kirchenmusik sehe ich schwierig. Es ist auch eine Frage des Geldes, wenn immer weniger Kirchenbeiträge zusammenkommen, und es gibt immer weniger Nachwuchs und insgesamt viele Vorbehalte gegen die Kirche. Viele Kirchenmusiker*innen haben keine Lust mehr auf die Institution, das bekomme ich regelmäßig mit.

Dennoch ist Musik in der Kirche unbedingt notwendig. Das Kirchenmusikstudium ist auch sehr umfassend und empfehlenswert. Mit 15 Fächern kann man dank der musikalischen Bildung für Klavier und Chor auch andere Berufe ausüben. Auch wenn ich nicht mehr im eigentlichen Sinne gläubig bin, bin ich so begeistert von der geistlichen Musik und erreiche damit gerne die Herzen der Menschen. Die Musik ist zu schön und wichtig.

Was sind aktuell Deine Hauptbeschäftigungen?

Ich bin nach wie vor als Konzertsänger tätig. Ich bin ja jetzt schon 63 und singe nur noch so 10 bis 15 Konzerte im Jahr. Mein erster Broterwerb ist das Grafikbüro kulturhochdrei für Kirchenmusiker, Musiker und Kulturinstitutionen. Das ermöglicht mir viel Flexibilität, um meine zwei ehrenamtlichen Säulen weiterzuführen, zum einen „Kultur für Alle Osnabrück“, damit Menschen mit wenig Geld in die Kultur gehen können. Die „Kunst-und-Kultur-Unterstützungskarte“, mittlerweile gut etabliert mit institutioneller Förderung, wurde 2012 von mir ins Leben gerufen. Das zweite ist die Arbeit im Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

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Max Ciolek singt aus dem „Winter “ von Joseph Haydns „Jahreszeiten“

Welche Musik hörst Du, wenn Du allein bist?

Fast alle Stile, vor allem Jazz, wenn es nicht zu wild ist. Ich bin sensibel für schöne Klangfarben! Musik muss für mich gut instrumentiert und qualitativ gut aufgenommen sein, ich mag z. B. auch Toto. Wenn ich selbst musiziere, ist Neue Musik nichts für mich, dafür bräuchte ich ein absolutes Gehör – meine Liebe ist die ältere Musik. Als lyrischer Tenor ist Giuseppe Verdi leider nichts für mich, ich singe aber auch gerne Lieder der Romantik.

Gibt es ein Erlebnis, das Dich musikalisch besonders geprägt hat?

Ganz am Anfang meiner Sängerkarriere, als ich nur Unterricht hatte und mir noch keine Gedanken über einen Musikberuf machte, hatte ich eine Begegnung mit Emma Kirkby, die ich Jahre vorher mit Händels „Messias“ auf CD gehört hatte. Ich war begeistert von ihrer engelsgleichen Stimme. 1992 gab sie einen Meisterkurs, als ich Kulturmanagement studierte. Ich war kein Teilnehmer, aber habe fotografiert. Als sie abends ein Konzert sang, war ich emotional tief berührt und habe verstanden – Singen bedeutet: Liebe schenken .

Wenn ein Sänger die Herzen der Menschen berühren will, dann ist es Musik! 20 Jahre später hatte ich die Ehre, mit ihr in Österreich gemeinsam Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“ zu singen, das hat mich natürlich sehr bewegt!

Du hast sehr vielseitige Interessen und Berufe! Hast du noch Ziele?

Wenn man mich googelt, fragen sich viele, ob das immer der gleiche Max Ciolek ist, der so viele unterschiedliche Sachen macht. Derzeit lerne ich Barockpauken und habe letztes Jahr Bachs „Weihnachtsoratorium“ studiert. Mein Lehrer hat mir bestätigt, dass ich bei Konzerten damit auftreten könnte. Ich bin jedenfalls ein großer Verfechter von lebenslangem Lernen und bleibe immer neugierig.

Herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

Redakteur: Florian Boberski

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