„Es hat Mozartianische Qualitäten“

Interview mit Johan van Slageren und Udo Wessiepe über Salieris Oper „Cublai, gran Kan de‘ Tartari“

(12.03.2024)

Mehr als 200 Jahre ist es her, dass Salieris Oper „Cublai, gran Kan de‘ Tartari“ auf Eis gelegt wurde: Das Stück hätte den Bündnispartner Russland brüskieren können und verschwand darum noch vor der Premiere in der Schublade. Erst 1998 kam die Zarenhof-Satire in Würzburg zur Premiere; Johan van Slageren und Udo Wessiepe hatten sie für die Opernwelt entdeckt. Ein Gespräch mit den beiden Musikern und Chefs von Stretta Music über Salieri-Klischees, die unvermuteten Qualitäten des Italieners – und die bevorstehende Uraufführung seines „Cublai“ in italienischer Sprache am 5. April in Wien.

Die Stretta-Geschäftsführer und Herausgeber von „Kublai Khan“: Johan van Slageren und Udo Wessiepe (v.l.n.r.)

Cublai, gran kan de’ Tartari

Cublai, gran kan de’ Tartari

Antonio Salieris komische Oper „Cublai, gran Kan de‘ Tartari“, entstand in den 1780ern und wurde erst 1998 in Würzburg auf Deutsch uraufgeführt. 26 Jahre später kehrt das Stück im April 2024 mit dem Titel „Kublai Khan“ auf Italienisch nach Wien zurück. Hier erhalten Sie alle Informationen zum Stück, sowie die Noten von Stretta Music.

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Wenn eine Oper wiederbelebt wird, heißt es im Vorfeld stets, sie sei „zu Unrecht vergessen“ worden. Warum denken Sie, ist das bei Salieris „Cublai“ wirklich der Fall?

Johan van Slageren: „Cublai, gran Kan de‘ Tartari“ ist 1788 nicht aus Qualitätsgründen in der Schublade verschwunden, sondern aus politischen. Das Stück kam deshalb nicht einmal zur Uraufführung. Das Libretto von Giambattista Casti hatte sich nur scheinbar über die Tartaren lustig gemacht – tatsächlich war dies ein Deckmantel, um den Zarenhof von Peter dem Großen zu karikieren. Casti verspottete Russland allerdings zur Unzeit: Kaiser Joseph II. und Zarin Katharina II. hatten einige Jahre davor ein Defensivbündnis geschmiedet.

Wie kam es dazu, dass die Partitur mehr als 200 Jahre später von Ihnen beiden ausgegraben wurde?

J. v. S.: Wir waren damals im Theater Würzburg angestellt, Udo Wessiepe als Studienleiter, ich als Erster Kapellmeister. Das Mozartfest der Stadt plante für 1998 eine Gegenüberstellung seines Namenspatrons mit dem Zeitgenossen Salieri und wollte ein großes Werk des Italieners ansetzen. Wir sind dann auf die Suche gegangen und haben uns schon bald auf die Spur von „Cublai“ geheftet. Erst fanden wir in Volkmar Braunbehrens‘ Biografie „Salieri – ein Musiker im Schatten Mozarts“ einen Hinweis auf das Werk, nach einem Telefonat mit dem Buchautor wussten wir dann, dass das Manuskript in der Österreichischen Nationalbibliothek liegt. Im Sommer 1997 bin ich nach Wien gefahren und habe mit Handschuhen in den 621 handschriftlichen Manuskriptseiten geblättert. Sie waren damals noch nicht auf Mikrofilm abgelichtet worden. Die Partitur war zu meiner Überraschung komplett.

Die erste Seite des Autographs, das die Österreichische Nationalbibliothek mittlerweile komplett digitalisiert hat.

Wie wurden daraus in weiterer Folge gedruckte Noten?

J. v. S.: Wir klopften bei verschiedenen Verlagshäusern mit der Bitte an, das Material möglichst rasch zu veröffentlichen. Für uns tickte die Uhr – wir brauchten die Noten bis zum Folgejahr. Doch die Häuser winkten ab: Ein solcher Prozess dauere drei bis vier Jahre. Darum haben wir die Arbeit selbst übernommen und uns mit dem Notensatzprogramm Finale, das damals noch ziemlich neu war, daheim hinter den Computer geklemmt. Nach drei intensiven Monaten waren wir fertig. Aus dieser Zusammenarbeit ist später auch unser gemeinsamer Notenverlag Stretta Music hervorgegangen, der später um den Notenversand ergänzt wurde: Seit 2001 sind wir als Firmenleiter tätig.

Zurück zu „Cublai“: Sie haben ihn 1998 in einer deutschen Übersetzung von Cornelia Boese aufgeführt. Wie war die Publikumsreaktion?

J. v. S.: Es war wirklich ein Erfolg, die Pointen sind gut angekommen. Acht Vorstellungen hatten wir angesetzt, alle waren ausverkauft, die Leute saßen teilweise auf den Treppen. Eine Wiederaufnahme gab es wegen eines Intendantenwechsels aber leider nicht.

Jetzt, 26 Jahre später, kommt das Stück zum zweiten Mal auf eine Bühne: Das Theater an der Wien zeigt die Uraufführung der originalen, italienischsprachigen Fassung. Wieso ist dazwischen so viel Zeit vergangen? Und wie kam es zur Neuproduktion in Wien?

Udo Wessiepe: Die Hintergründe der Wien-Premiere sind uns nicht bekannt. Wir haben das Notenmaterial verlegt, sind aber nicht für seine Vermarktung zuständig. Diese Aufgabe nimmt die Alkor-Edition vom Bärenreiter-Verlag für uns wahr. Sie hat damit nach der Uraufführung von „Cublai“ begonnen und bietet das Werk seither internationalen Häusern an. [Anm.: Dort sind auch die Stimmen auf Anfrage als Leihmaterial unter AE 341 erhältlich.] Tatsächlich gab es in der Zwischenzeit kleinere Erfolge: Einzelne Arien sind hier und da gespielt worden. Bis zu einer Neuproduktion des ganzen Stücks hat es aber lange gedauert.

J. v. S.: Ich vermute, dass dies auch mit einem negativen Salieri-Bild zu tun hat. Auch in der Klassikwelt haftet es an dem Italiener.

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Diana Damrau, die die Alzima in Würzbug spielte, singt die Arie „D'un insultante orgoglio“ (Nr. 17)

Sie meinen, dass er ein hölzerner, geistloser Komponist gewesen sei – ein Bild, das vor allem Milos Formans Erfolgsfilm „Amadeus“ (1984) in der Welt verbreitet hat?

U. W.: Ja, „Amadeus“ hat auf die Leute gewirkt – auch wenn es natürlich Unsinn war, dass Salieri ein schlechter Komponist war oder er Mozart gar vergiftet hätte. Salieri hatte gar keinen Grund zum Neid: Er war Hofkapellmeister – ein Posten, den Mozart gerne gehabt hätte – und führender Musiker der Stadt.

Salieri ist von Joseph II. mit Aufträgen und Titeln reichlich bedacht worden. Heute ist er ein marginalisierter Komponist: Seine Werke sind wenn, dann eher bei Originalklangfestivals zu hören. Im gängigen Konzert- und Opernrepertoire taucht Salieri aber kaum auf. Hoffen Sie, dass sich das mit der Neuproduktion in Wien ändert?

U. W.: Mozarts Musik funktioniert auch, wenn sie ein Schulorchester spielt. Das ist bei Salieri nicht der Fall. Es braucht sehr gute Leute, um diese Musik zum Leben zu erwecken, Leute mit Fachkompetenz: Man muss wissen, wie diese Musik artikuliert und phrasiert wird. Sie wird, so denke ich, immer etwas für Spezialisten und Originalklangensembles bleiben. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass auch große Häuser mit den entsprechenden Ressourcen Salieris Opern spielen könnten.

J. v. S.: Man muss schon mit Salieris Continuo-Parts anders umgehen. Sie sind eher barock orientiert zu besetzen.

U. W.: Der ganze Orchestersatz von „Cublai“ ist dem Barock stärker verbunden als Mozarts Musik. Man merkt es etwa an den Bläsern: Es gibt zwar einige Stellen, in denen sie solistisch eingesetzt werden, aber über weite Strecken verwendet sie Salieri als Harmoniestimmen.

J. v. S.: Er ist konservativer, würde ich sagen.

U. W.: Dem galanten Stil näher als Mozart.

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„Sinfonia“: Ouvertüre zu Salieris „Cublai Khan“ von den London Mozart Players unter Matthias Bamert (2001)

Salieri hatte blendende Kontakte zum Hochadel; man darf wohl anzunehmen, dass er politisch gut informiert war. Wie konnte es ausgerechnet ihm passieren, dass eines seiner Werke den Interessen des Hofes zuwiderlief und darum verschwinden musste?

U. W.: Salieri hat wohl gehofft, damit durchzukommen, dass das Stück nicht explizit in Russland spielt, sondern am Hof des Khans in Peking. Vielleicht hat er sich aber auch einfach gedacht, falls die Oper jetzt nicht zur Aufführung gelangt, dann vielleicht eines Tages, wenn Russland kein Bündnispartner mehr ist. Große Sympathien schien Joseph II. für Russland ohnehin nicht zu hegen. Er hatte mit Katharina II. ein reines Zweckbündnis gegen das osmanische Reich geschmiedet. Der Pakt beruhte nicht etwa auf einer Zuneigung zu den Russen, im Gegenteil, Joseph hat das zaristische Russland mehr oder weniger verachtet, wegen eines Mangels an Aufgeklärtheit und des übertriebenen Prunks am Hof und der verarmten Bevölkerung. Das hat ihm missfallen.

Salieri und Casti haben womöglich schon in einem frühen Planungsstadium begriffen, dass sie sich damals keine Hoffnungen auf eine Aufführung machen konnten. Ein Beweis, dass das Stück der Zensurbehörde vorgelegt worden wäre, fehlt. Im Falle des Falles hätte die Zensur aber womöglich nicht nur verborgene Russland-Bezüge getadelt: In dieser Satire wird ganz offensichtlich ein Monarch der Lächerlichkeit preisgegeben, was seinerzeit verboten war.

U. W.: Richtig. Der Khan wird in dem Stück als tumber Säufer dargestellt, das ist natürlich eine Herabwürdigung.

Sein Sohn Lipi wird auch nicht gerade schmeichelhaft dargestellt.

U. W.: Ja, der Hellste ist er nicht. Sein Charakter ist aber auch von seinem Erzieher Posega geformt worden: Der hat Lipi so manipuliert, dass er nur ihm hörig ist.

Trotz der schrägen Figuren findet die zweiaktige Oper ein Happy End: Der cholerische Regent sieht ein, dass nicht sein Sohn, sondern sein Neffe Timur die schöne Prinzessin Alzima heiraten und der nächste Khan werden sollte. Wie beurteilen Sie das Niveau des Librettos?

J. v. S.: Es ist ein sehr unterhaltsames und theaterwirksam.

U. W.: Es ist genial. Ich würde sagen, Casti ist der bessere Librettist als Lorenzo Da Ponte. Es besitzt unglaublichen Sprachwitz, und ich denke, das hat auf Salieri einen starken Eindruck gemacht. Er hat das nicht einfach so runterkomponiert: Man merkt, es lag ihm am Herzen. Es gibt großartige Momente in dieser Partitur: Das Quartett Nummer 28 (Ti procuro e regno e sposo) zum Beispiel, kurz vor dem Happy End, hat mozartianische Qualitäten. Sehr ausdrucksstark ist auch das Duett von Alzima und Timur im ersten Akt (Deh perchè mi guardi e poi) komponiert: Man hört den Herzschlag der Prinzessin in der Musik, ihr Zittern und ihre Furcht. Sehr schön gestaltet ist außerdem Timurs Tenor-Arie am Beginn des Zweiten Akts (Quai grazie rendere) – sie hätte genauso gut von Mozart stammen können.

J. v. S.: Die beiden Alzima-Arien enthalten Koloraturen, die ähnliche Ansprüche stellen wie jene von Mozarts Fiordiligi (Così fan tutte).

Giambattista Casti (Francesco Rosaspina, 1838)

Antonio Salieri (Willibrord Joseph Mähler, 1815)

Bemerkenswerterweise ist ein Schriftstück erhalten, in dem Salieri seine eigene Oper bewertet. Einige Nummern finden dabei Lob, andere Tadel. Hart geht er dabei mit dem zweiten Finale ins Gericht: Es „verdient wenig musikalisches Lob, es ist ganz auf die Handlung abgestellt“. Warum hat Salieri das geschrieben?

U. W.: Ich glaube, er hat sich bei einigen Nummern gedacht: Da muss der Text Vorrang vor der Musik haben. Wenn die Musik hier zu aufwendig gestaltet ist, zu viel Zeit benötigt, leidet der Text. Das Primat des Wortes hat in diesen Passagen also dramaturgische Gründe.

Ist es richtig, dass sechs Jahre nach der Entstehung von „Cublai“ noch ein Versuch unternommen wurde, das Werk auf die Bühne zu bekommen?

U. W.: Das ist eine Vermutung, ein Beweis dafür ist nicht erhalten. Es gibt nur ein Indiz: Casti hat damals eine Schrift drucken lassen, die alle politischen Anspielungen und Russland-Bezüge in „Cublai“ abstreitet. Das glaubte ihm aber niemand. Die Vorlage für die Oper war Castis „Poema tartaro“ gewesen, das bereits dieselben Figuren auftreten ließ und klar den russischen Hof aufs Korn nahm. Hinter Castis Dementi von 1794 stand vermutlich der Wunsch, die Oper doch noch aufgeführt zu sehen. Entsprechende Pläne waren aber wohl nicht sehr weit gediehen.

Kommen wir in die Gegenwart zurück: Würden Sie sich die Arbeit noch einmal antun, ein handschriftliches Opernmanuskript aufzuspüren, es in eine spielbare Partitur zu verwandeln und diese dann herauszugeben?

U. W.: Wir haben „Cublai“ soeben nochmals neu herausgegeben, nun in der italienischsprachigen Fassung. Das war allerdings nicht mehr so aufwendig wie unsere erste Auseinandersetzung mit der Oper – diesmal gab es ja schon eine gedruckte Ausgabe und auch einen Klavierauszug. Ob ich mir eine solche Arbeit von Grund auf noch einmal antun würde? Ich hätte schon Interesse. Es ginge sich aber wohl zeitlich nicht mit meinem Job als Geschäftsführer von Stretta Music aus. Ich könnte es mir aber vorstellen, in der Rente bei Gelegenheit noch einmal so ein Projekt zu übernehmen. Die Arbeit ist schon sehr reizvoll.

J. v. S.: „Cublai“ war nicht die erste Oper, die einer von uns beiden editiert hat. Ich hatte mich davor schon mit „Argenore“ von Wilhelmine von Bayreuth auseinandergesetzt und diese Opera seria auch dirigiert.

U. W.: Und ich hatte davor bereits das Aufführungsmaterial einer Oper von Johann Christian Bach für das Würzburger Mozartfest erstellt.

J. v. S.: Als Team haben wir aber das erste Mal bei „Cublai“ zusammengearbeitet und die Musik dann erfolgreich für das Mozartfest Würzburg einstudiert.

Die Wien-Premiere am 5. April werden Sie wohl entspannter erleben?

J. v. S.: Ja sicher, diesmal sind wir ja als Zuschauer dabei (lächelt). Und wir sind schon sehr gespannt auf die Premiere – zumal die Produktion mit Dirigent Christophe Rousset, seinem Ensemble Les Talens Lyriques und der Sängerschaft ein musikalisch hohes Niveau verspricht.

Redaktion: Christoph Irrgeher

Christoph Irrgeher

Geboren 1976 in Wien. Ebenda Schule, Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ab der Jahrtausendwende freie Mitarbeit bei Musik- und anderen Magazinen; ab 2003 freie Mitarbeit bei der Wiener Zeitung, von 2004-2023 Kulturredakteur des Blattes, derzeit als freier Journalist tätig. Beiträge für Medien wie Das Feuilleton, Morgen und Das Orchester.

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