von Cathrin Rahn und David Rauh (07.12.2022)
Für viele Musiker gehört es zur Advents- und Weihnachtszeit dazu wie der Weihnachtsbaum oder Plätzchen… Die Rede ist natürlich vom Weihnachtsoratorium des Leipziger Thomaskantors Johann Sebastian Bach, das in der Winterzeit fast jede Kirche in festliche Klänge hüllt. In seiner Originalgestalt mit vier Solisten, gemischtem Chor und Orchester mit Basso continuo-Gruppe ist es uns allen wohlbekannt, aber nicht immer sind die Umstände passend für eine solche Aufführung. Gut, dass es jetzt eine neue Aufführungsoption ohne Orchester gibt!
Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ist heute der unumstrittene Klassiker unter den Vertonungen der Weihnachtsgeschichte. Zu seiner Entstehungszeit um den Jahreswechsel 1734/35 wurde jeder der sechs Teile einzeln im Gottesdienst aufgeführt. Für jeden Feiertag rund um Weihnachten hatte Bach eine Kantate geschrieben, so für die damals noch üblichen drei Weihnachtsfeiertage, Neujahr, den Sonntag nach Neujahr und das Fest der Heiligen Drei Könige.
Im Gottesdienst kommt das Weihnachtsoratorium heutzutage allerdings kaum noch zum Einsatz. Meistens erklingen die ersten drei oder etwas weniger häufig die letzten drei Teile im Rahmen von Kirchenkonzerten. Dies mag auch an dem hohen personellen Bedarf liegen: Alle benötigten Musiker für die Aufführung nur eines Teils des Oratoriums im Rahmen eines Kantatengottesdiensts zu engagieren und bezahlen, ist aufwendig und teuer. Bisher existierten allerdings keine überzeugenden Arrangements des Oratoriums oder einzelner Teile für kleinere Besetzungen. Im Carus Verlag sind nun jedoch Arrangements der ersten drei Teile erschienen, in denen die Orgel das Orchester ersetzt. Kann das funktionieren – bei einem so klangfarbenreichen Werk? Im Gespräch mit dem Bearbeiter Carsten Klomp sind wir dieser Frage auf den Grund gegangen und haben mehr über seine Arbeitsweise, Ideen und Leitsätze erfahren.
Auf Carsten Klomp übte das Weihnachtsoratorium schon in seiner Jugend eine besondere Faszination aus, als er zunächst noch im Chor mitwirkte. Bis heute begleitet ihn das Werk als gefragter Continuo-Spieler oder Dirigent. Jedes Jahr freut er sich auf den Moment, wenn in der Probe die ersten Takte erklingen: „Es reißt einen mit und alle sind auf einmal voll da.“ 2020 war eine Aufführung in der originalen Form jedoch nicht möglich, sodass man sich um andere Lösungen Gedanken gemacht hatte. Die Idee einer Kollegin Klomps erschien zunächst unmöglich: „Kannst du dir vorstellen, das auf der Orgel alleine zu spielen?“ Seine erste Reaktion: „Das ist unspielbar, alleine die ganzen 32-tel zu Beginn!“ Doch der Gedanke ließ den Orgelprofessor nicht mehr los. Bald darauf setzte er sich an seine Orgel und begann stundenlang nur über die ersten Takte zu grübeln. Nach und nach aber fügte sich das Puzzle zu einem spielbaren Ganzen zusammen. Ein erster Erfolg! Danach konnte der Rest gar nicht mehr so schwer sein… Und tatsächlich: für den Heiligen Abend 2020 konnte rechtzeitig Teil I für Orgel fertiggestellt werden, Teil II und Teil III im darauffolgenden Winter.
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YouTube-Inhalte anzeigenDie drei wichtigsten Grundsätze bei der Übertragung fasst Carsten Klomp in seinem Vorwort zusammen:
Angesichts dieser hohen Ambitionen verwundert es kaum, dass die entstandene Übertragung virtuos und anspruchsvoll ist. Die Spielbarkeit stand dabei aber immer im Vordergrund. Carsten Klomp betont, dass nicht nur der Anfang, sondern alles an der Orgel entstanden sei.
Bei der Übertragung gab es eine Besonderheit zu bedenken: Die Orgel ist eigentlich schon Teil der Basso continuo-Gruppe der Originalbesetzung. Das hieß also, dass oft kreative Lösungen gefunden werden mussten, wie das Orchester und die ursprüngliche Orgelstimme miteinander kombiniert werden können. Aufgabe der Orgel im Original ist es, das harmonische Fundament des Werks zu legen. In der Übertragung nun versucht Klomp, die erforderlichen Harmonien in einen gedachten Orchestersatz einzuflechten, wie diese beiden Notenbeispiele zur Bassarie „Großer Herr, o starker König“ aus dem ersten Teil veranschaulichen:
Ebenso setzen manchmal die technischen Grenzen des Instruments einen Rahmen für die Übertragung und erfordern einen cleveren Umgang mit dem Ausgangsmaterial. Im Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“ laufen für längere Abschnitte im Basso continuo Sechzehntel-Ketten durch, die für Carsten Klomp hier klanglich unverzichtbar sind. Allerdings sei es technisch nicht möglich, diese Basslinie immer eins zu eins ins Pedal zu übertragen. Also setzte er die Sechzehntel, wo nicht anders möglich, in die linke Hand. Damit aber der klangliche Eindruck der Tiefe bleibt, spielt an diesen Stellen das Pedal getupfte Harmonietöne. So entstehe eine Version, die zwar vom Original abweiche, aber alle wichtigen Klanginformationen enthalte. Einen Auszug davon zeigt das folgende Notenbeispiel:
Der Eingangschor des Weihnachtsoratoriums ist besonders markant durch seinen prominenten Einsatz der Pauken. Eine Schwierigkeit bei der Übertragung auf die Orgel seien ebendiese klanglich von Pauken und Trompeten geprägten Abschnitte, denn auf der Orgel sei es fast unmöglich, perkussive Klänge zu erzeugen, erläutert Klomp. Einen Tipp hat er hierzu aber für alle Organisten parat: „Nehmt am Anfang einfach die Pedalposaune dazu, die in der Tiefe, und nur kurz angeschlagen, einen erstaunlich perkussiven Klang erzeugt.“
Was die Voraussetzungen des Instruments angehe, so ließe sich das Stück am besten auf einer mittelgroßen oder großen Orgel ab 26 Registern spielen, da man ansonsten in der Wahl der Klangfarben sehr eingeschränkt sei. Grundsätzlich reiche aber eine zweimanualige Orgel, auch wenn mit einem dritten Manual ausgefeiltere klangliche Möglichkeiten realisiert werden können. Diese mögliche zusätzliche Klangfarbenebene wird an den entsprechenden Stellen in den Noten gekennzeichnet und ergänzt die sonst schon ausführlichen Registriervorschläge.
Mit der neuen Fassung für Orgel erhält das Weihnachtsoratorium von Bach eine neue, äußerst ansprechende Aufführungsoption. Jetzt können die einzelnen Teile auch ohne großen finanziellen und organisatorischen Mehraufwand im Gottesdienst aufgeführt werden, mit derselben Tiefe, für die man das Original liebt. Die Übertragung ist zwar anspruchsvoll, aber dennoch gut spielbar. Wir finden, dass es sich um eine sehr spannende und gelungene Erweiterung der Aufführungsmöglichkeiten für das Weihnachtsoratorium handelt.
Kirchenmusikdirektor Prof. Carsten Klomp ist seit Oktober 2012 Orgelprofessor an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg und daneben Organist der Heidelberger Universitätsgemeinde an der Peterskirche.
Neben seiner pädagogischen und konzertanten Tätigkeit im In- und Ausland ist Klomp u. a. bekannt als Herausgeber der Notenreihe organ plus one, der Choralvorspielsammlung Ökumenisches Orgelbuch und der Orgelschule Orgelspiel von Anfang an sowie als Komponist von Kindermusicals und Werken für Orgel, Chor oder Bläser. …
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zu Stretta Music Weltweit wechseln auf Stretta Music Schweiz bleibenKirchenmusikdirektor Prof. Carsten Klomp (*1965) ist seit Oktober 2012 Professor für Künstlerisches und Liturgisches Orgelspiel an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg und Organist der Heidelberger Universitätsgemeinde an der Peterskirche. Klomp ist ein gefragter Konzertorganist im In- und Ausland. Zahlreiche CD- und Rundfunkaufnahmen dokumentieren seine künstlerische Arbeit.
Neben seiner pädagogischen und konzertanten Tätigkeit ist Klomp ein international erfolgreicher Herausgeber und Komponist. So erschien von ihm in den vergangenen Jahren die in ganz Europa rezipierte Notenreihe organ plus one im Bärenreiter-Verlag, deren vorerst letzter Band Ende 2020 veröffentlicht wurde. Bei Bärenreiter erschien auch das gemeinsam mit Markus Karas herausgegebene zweibändige Ökumenisches Orgelbuch, das mit weit über 500 Seiten größte Kompendium neu komponierter Choralvorspiele der letzten Jahrzehnte. Im Butz-Verlag erschien die Orgelschule Orgelspiel von Anfang an Band 1 und Band 2. 2020 wurde die Orgelschule auf Englisch übersetzt und erscheint inzwischen in England und den USA (Organ playing from the very beginning). Außerdem veröffentlichte Klomp im Strube-Verlag Orgelwerke, Werke für Chor und Bläserchor sowie gemeinsam mit seiner Frau Wibke Klomp Kindermusicals und ein Senioren-Gesangbuch.
Seit 1998 ist er Herausgeber der Fachzeitschrift Forum Kirchenmusik, seit 2022 deren Schriftleiter. Als Mitglied der Arbeits-Rechts-Kommission der badischen Landeskirche beschäftigt er sich intensiv mit berufspolitischen Fragen und ist gefragter Referent bei Tagungen und Kongressen.
Vor seiner Heidelberger Tätigkeit war Klomp 17 Jahre als Landeskantor an der Freiburger Ludwigskirche tätig. Hier gründete er die Freiburger Kantorei, das Herdermer Vokalensemble sowie die bundesweit erste Stiftung für Kirchenmusik. Ebenfalls entwickelte er dort die heute noch sehr erfolgreiche ökumenische Konzertreihe „Mit Bach durch die Regio“. Im Bach-Jahr 2000 spielte er auf der Matthis-Orgel der Ludwigskirche das komplette Orgelwerk Johann Sebastian Bachs. Musikalische Schwerpunkte waren zudem die Orgelmusik der französischen Romantik und klassischen Moderne und die Chorsinfonik von Felix Mendelssohn Bartholdy bis Giacomo Puccini. Eine enge Verbindung zum Freiburger Barockorchester spiegelte sich in zahlreichen konzertanten oratorischen und ca. 100 Kantaten-Gottesdiensten in historisch informierter Aufführungspraxis wider. 2005 gründete er im Auftrag der badischen Landeskirche das „Haus der Kirchenmusik“ im Rheinfelder Schloss Beuggen, das er auch nach dessen Umzug nach Heidelberg bis 2019 leitete. Zudem hatte er an der Freiburger Staatl. Hochschule für Musik einen Lehrauftrag für Orgelimprovisation, 2000 wurde er zum Professor ernannt.
1992 – 1995 war Klomp Kreiskantor an der Bremerhavener Christuskirche. Hier gründete er neben der bestehenden Stadtkantorei den Bremerhavener Kammerchor und das Bremerhavener Kammerorchester. Zuvor war er neben seinen Studien der Kirchen- und Schulmusik, Klavierpädagogik, Künstlerischem Hauptfach Orgel und Germanistik in Detmold und Bielefeld Kirchenmusiker an der Herdecker Stiftskirche. Während des Studiums war er Lehrassistent bei KMD Prof. Renate Zimmermann. Als mehrfacher Stipendiat der Altenberger Orgelakademie besuchte er Meisterkurse bei Petr Eben, Hans Haselböck, Olivier Latry u. v. a., außerdem war er Stipendiat der Werner Richard-Dr. Carl Dörken Stiftung.